Stellungnahme der “Euthanasie”-Gedenkstätte Lüneburg zum Anschlag auf Einrichtungen der Lebenshilfe Mönchengladbach
In der vergangenen Woche wurde ein mutmaßlich rechtsextremer Anschlag auf Einrichtungen der Lebenshilfe in Mönchengladbach verübt. In ein Wohnheim für Menschen mit Behinderungen wurde ein Ziegelstein mit der Aufschrift »Euthanasie ist die Lösung« geworfen. Bereits wenige Tage zuvor wurde deren Geschäftsstelle Ziel eines ähnlichen Anschlags.
Gegen Angriffe auf Menschen mit Behinderungen erheben wir unsere Stimme. Eine solche Entwicklung muss stoppen!
Wir sind aus mehreren Gründen entsetzt über diese Tat und möchten die Tragweite dieses Vorfalls verdeutlichen. Als »Euthanasie«-Gedenkstätte informieren wir tagtäglich über die nationalsozialistischen »Euthanasie«-Verbrechen und vermitteln, wohin die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen führen kann. In unserer Einrichtung machen wir deutlich, dass Menschenrechte und Rechte für Menschen mit Behinderungen das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung und nicht selbstverständlich sind.
Die Beschriftung des Ziegelsteins zeigt auf, dass sich hinter der Tat kein Unwissen verbirgt, sondern der Anschlag ist vielmehr Ausdruck einer ideologischen Überzeugung. Die Täter*innen wussten, wovon sie sprechen, und das macht sie so gefährlich. Mit der Tat sollen Menschen mit Behinderungen gezielt eingeschüchtert und verängstigt werden. Den Bewohner*innen des Wohnheimes wurde mit ihrer Ermordung gedroht.
Wir nehmen seit einigen Jahren eine starke gesellschaftliche Konsensverschiebung wahr. Mittlerweile werden demokratische und menschliche Werte, die lange als grundsätzlich galten, wieder öffentlich in Frage gestellt. Behindertenfeindliche Äußerungen und Vorgehensweisen werden unkritisch hingenommen und fast schon wieder selbstverständlich. Rassismus, Antisemitismus, Ableismus und viele andere Formen der Diskriminierung werden mehr und mehr salonfähig, bleiben von der Mehrheitsgesellschaft zunehmend unwidersprochen.
Der Angriff auf das Wohnheim der Lebenshilfe ist ein Angriff auf Menschen, die sich oftmals nicht selbst wehren können. Es ist ein Angriff auf jene, die aufgrund ihrer Behinderungen besonders schutzbedürftig sind. Es zeigt, wie es um die Menschlichkeit unserer Gesellschaft bestellt ist. Dieser Vorfall zeigt aber auch auf, wohin das Ausblenden von Beeinträchtigungen und das Ausgrenzen von Menschen mit Behinderungen im Alltag führt.
Etwa 13 Prozent der Menschen in Deutschland haben eine Behinderung, etwa 16 Prozent leben mit einer Beeinträchtigung. Über 90 Prozent der Behinderungen werden im Laufe des Lebens erworben. Dies kann durch Unfälle, medizinische Vorfälle, chronische Erkrankungen oder altersbedingt geschehen. Menschen, die heute Steine schmeißen und Menschen mit Behinderungen bedrohen, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit im Laufe ihres Lebens selbst zu Menschen mit Beeinträchtigungen gehören. Dass Behindertenfeindlichkeit eine gesamtgesellschaftliche Bedrohung ist, zeigt die Kampagne #Ableismustoetet immer wieder auf.
Wir stehen fest auf der Seite der Betroffenen und der Lebenshilfe, mit der wir seit Jahren kooperieren und positionieren uns gegen sämtliche Diskriminierungsformen, insbesondere die gegen Menschen mit Behinderungen. Ableismus hat in unserer Gesellschaft keinen Platz. Menschen mit Beeinträchtigungen gehören zu unserer vielfältigen Gesellschaft.
Das Team der »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg
Hintergrundinformationen: https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/angriff-wohnheim-moenchengladbach-100.html.
Die Gedenkstätte befindet sich auf dem Gelände der heutigen Psychiatrischen Klinik Lüneburg im ehemaligen Badehaus am Wasserturm, dem weithin sichtbaren Wahrzeichen der Klinik.
Die „Euthanasie“-Gedenkstätte wurde am 25. November 2004 als „Bildungs- und Gedenkstätte ‚Opfer der NS-Psychiatrie‘ Lüneburg“ eröffnet. Seit 1. September 2015 trägt sie den neuen Namen „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg.