Berlin. Erschreckend aktuell war die Jubiläumsveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen des Gedenk- und Informationsortes zur sogenannten T4-Aktion der Nationalsozialisten. Etwa 300.000 kranke und behinderte Menschen fielen zwischen 1939 und 1945 in ganz Europa den „Euthanasie“-Morden der Nazis zum Opfer. Am 2. September 2014 wurde das Denkmal an der Tiergartenstraße in Berlin der Öffentlichkeit übergeben. Dies würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit einem Auftrag an die Gesellschaft: „Niemand hat über den Wert eines anderen Menschenlebens zu entscheiden. Jedes menschliche Leben ist lebenswert – und hat eine unantastbare Würde. Bauen wir also alle zusammen an einer humanen Welt. Bauen wir an einer Welt, in der jeder Mensch das Recht hat, zu leben. So, wie er ist.“
Dazu erklärt die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Ulla Schmidt, Bundesministerin a.D.: „Inzwischen haben wir es in Teilen der Bevölkerung mit einer gefestigten rechtsradikalen Gesinnung zu tun, die Ausgrenzung wieder salonfähig macht. So wie es die Worte des Vorstandsvorsitzenden der sächsischen Kassenärztlichen Vereinigung, Karl Heckemann, zeigen, in denen er die ‚Zukunftsvision‘ einer neuen ‚Eugenik‘, also einer neuen Erbgesundheitslehre, beschreibt, die er ‚in ihrem besten und humansten Sinn‘ verstanden wissen will. Eine solche Unterscheidung von lebenswertem und unwertem Leben widerspricht Artikel 1 des Grundgesetzes fundamental.“
Bundespräsident Steinmeier zeichnete für die Vergangenheit den Weg nach: „Inhumanität beginnt im Denken. Und sie setzt sich fort, bevor und auch während sie zur mörderischen Aktion wird, in einer verschleiernden, diskriminierenden oder verlogenen Sprache. Seit dem 19. Jahrhundert war, nicht nur in Deutschland, ein sogenanntes ‚eugenisches‘ Denken auf dem Vormarsch, das – sozialdarwinistisch – sogenannten ‚behinderten‘ oder ‚schwachsinnigen‘, wie man damals sagte, oder ‚erbkranken‘ Mitmenschen das Recht auf Leben oder auf die Weitergabe des Lebens absprach.“ Und Steinmeier fuhr für die Gegenwart fort: „Wenn heute zum Beispiel Kinder, die mit einer Beeinträchtigung durchs Leben gehen, wieder als Belastung für unsere Gesellschaft und für andere Jugendliche stigmatisiert werden, sagen wir: Alle Kinder haben einen Anspruch auf bestmögliche Entwicklungsmöglichkeiten. Jede und jeder soll die Möglichkeit haben, das Beste aus sich zu machen. Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, gleich welchen Alters, alle haben ein Recht auf Beistand.“
Mario Sommer als Mensch mit Beeinträchtigung aus der Lebenshilfe Potsdam-Brandenburg und als Guide der dortigen Gedenkstätte führte aus: „Unsere Antwort ist die inklusive Gedenkstättenarbeit. Wir als Menschen mit Lernschwierigkeiten haben das Heft des Handelns in die Hand genommen. Kommen Sie zu uns, um über die Vergangenheit zu sprechen. Und darüber, was es für die Gegenwart bedeutet.“