Der Welt-Autismus-Tag am 2. April steht dieses Jahr unter dem Motto „A happy journey through life“ (dt. etwa: zufrieden durch das Leben reisen) – wünschen wir uns das nicht alle? Möglichst unbeschadet und zufrieden durch ein erfülltes Leben zu „reisen“? Doch wer als Autist*in auf die Welt kommt, wird auf dieser Reise zahlreichen Hürden begegnen, die eben dieses Glück stark einschränken oder im schlimmsten Fall sogar verhindern können.
Medizinisch betrachtet ist Autismus eine sogenannte tiefgreifende Entwicklungsstörung mit unterschiedlicher Ausprägung und wird daher auch als Autismus-Spektrum-Störung (ASS) bezeichnet. Diesen pathologisierenden Begriff lehnen viele autistische Menschen ab. Bezüg-lich der verschiedenen Bezeichnungen für diesen Personenkreis herrscht aber grundsätzlich keine Einigkeit. Während manche gerne den Menschen in den Fokus rücken („Menschen mit Autismus“), bezeichnen sich andere ganz bewusst als Autist*innen, um aufzuzeigen, dass ihr Autismus untrennbar mit ihrer Identität verknüpft ist.
Es braucht mehr Aufklärung
Was das angeht, ist wohl eigentlich jeden Tag Welt-Autismus-Tag. Denn die autistische Wahrnehmung begleitet 1 Prozent der Bevölkerung täglich. Menschen mit Autismus haben eine von Grund auf andere Herangehensweise an Kommunikation. Nonverbale Signale, Ironie oder auch Gefühlsausbrüche können sie oft nur schwer verstehen. Da aber immer noch zu wenig über ASS und ihre Besonderheiten bekannt ist, werden viele Menschen erst gar nicht oder sehr spät diagnostiziert. Das hat besonders negative Auswirkungen auf die „Unentdeckten“: Autist*innen haben ein dreifach höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken, und auch Suizid ist leider eine reale Gefahr. Tatsächlich ist die Sterblichkeit durch Suizid bei Menschen mit Autismus so hoch, dass ihre allgemeine Lebenserwartung im Durchschnitt 15 Jahre kürzer ist.
Eine Frage der Anpassung?
Daran soll nicht nur der Welt-Autismus-Tag etwas ändern. Auch Organisationen wie der Bundesverband autismus Deutschland e. V. machen sich für die Zielgruppe stark und möchten zeigen, dass „anders“ nicht gleichbedeutend mit „schlecht“ ist. Der neurodiverse Ansatz – also die Annahme, dass die Vielfalt des Menschen der Standard und nicht die Abweichung von der Norm ist – kann ein Schritt in die richtige Richtung sein. So stellt sich in puncto Inklusion immer wieder die Frage, wer sich eigentlich an wen anpassen sollte – und wieso?
Es mag sein, dass Autist*innen im (Berufs-)Alltag eine andere Art von Unterstützung und Rahmenbedingungen brauchen. Aber gilt das nicht letztlich für uns alle? Und sollten sich gute Arbeitgeber*innen nicht ohnehin bestmöglich auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einstellen? Schließlich gab es schon immer Teamplayer und Großraumbüro-Fans, genauso wie es Einzelgänger*innen gab und diejenigen, die die Ruhe im Homeoffice bevorzugen.
Lebenshilfe Celle macht sich für Autist*innen stark
Die Lebenshilfe Celle, die sich schon lange auch explizit für Menschen mit Autismus einsetzt, möchte anlässlich des Welt-Autismus-Tages Unternehmen ermutigen, geeignete Rahmen-bedingungen für diesen Personenkreis zu schaffen. Eine gute Perspektive stellt hier das sogenannte „Budget für Arbeit“ dar. Es ermöglicht Menschen mit Beeinträchtigung eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und bietet dabei sowohl notwendige Betreuungsleistungen als auch einen Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber*innen.
Aber auch diejenigen, denen Gesellschaft und Arbeitswelt aufgrund einer sehr starken ASS-Ausprägung nicht die Chance lassen, an ihnen teilzuhaben, fallen bei der Lebenshilfe Celle nicht durch das Raster! Seit vielen Jahren existiert eine eigene Tagesstätte für diesen Personenkreis und seit zwei Jahren auch ein entsprechendes Wohnangebot. Betroffen aber macht: Die Herausforderung ist weniger der Personenkreis als vielmehr die Akzeptanz dieser Form einer Beeinträchtigung, die als „Kostenfaktor“ beim Leistungsträger nur auf geringes Verständnis stößt und daher ständiger Verhandlungen bedarf.
Es kommt auf den Blickwinkel an
Wer sich erst einmal auf Menschen mit ASS einlässt, wird schnell feststellen, wie viele positive Aspekte damit einhergehen können: Autist*innen zeigen oft eine geradezu hingebungsvolle Fokussierung auf ausgewählte Themen und bevorzugen wiederkehrende Abläufe und Prozesse. Und auch wenn autistische Eigenschaften im sozialen Umfeld oft irritieren oder befremdlich wirken können, sind sie in erster Linie weder gut noch schlecht. Letztlich kommt es auch immer auf den Blickwinkel an: Ist ein Mensch wirklich unhöflich oder einfach nur ehrlich und direkt? Besserwisserisch oder doch eher faktenorientiert?
Wer bereit ist, diesen Perspektivwechsel zu- und sich auf Neues einzulassen, der trägt bereits einen großen Teil bei zur „happy journey through life“ – und zwar für alle.
Foto: Lebenshilfe | David Maurer
Vielen Dank für die Veröffentlichung!